Stell Dir vor Du willst ein Auto ersteigern. In der Angabe stehen folgende Daten:
- Opel Tigra
- 17 Jahre alt
- stottert nach dem Start
- hat Moos an den Dichtungen
- Bedienelemente abgebrochen
- Bordcomputer teilweise defekt
- 183.000 km
- Neupreis ca. 18.000,-
Was würdest Du zahlen? Eintausend? Zweitausend? Oder fünfundfünfzigtausendsiebenhundertundfünfzig Euro. Fürs bessere Lesen: 55.750,-? Denn um diese 55.750,- ging der Tigra auf ebay über den virtuellen Ladentisch. Um den dreifachen Preis den das Teil fabriksneu gekostet hätte.
Vielleicht ein Promi-Auto?
Ist es ein Promi-Auto? War das der Zweitwagen vom Papst? Hat Angela Merkel damit Vladimir Putin zum Flughafen gefahren? Ist Beyonce in dem Auto gezeugt worden? Weit gefehlt. Das Auto gehört Firat, Firat Demirhan. Bis heute habe ich den Namen nie gehört und Du wahrscheinlich auch nicht.
Die Macht des Storytellings
Was sich hier zeigt ist die Macht des Storytellings. Die Macht der Geschichte. Wir Menschen reagieren auf Geschichten. Kaum etwas löst so starke Emotionen aus, wie eine Geschichte. Der Wagen ging zu einem unglaublichen Preis über den Ladentisch, weil der Verkäufer eine unglaubliche Geschichte dazu erzählte.
Die Charmeoffensive
Von da an geht es los. Von der Liebe zum Auto, welches einige Mängel habe, er aber nur für die abgewetzte Rückbank etwas könne und auch daran waren eigentlich die Mädels schuld, die wären ja auf der Bank gelegen. Bis hin zu einer Liebeserklärung an seine schwangere, ständig Schuhe kaufende, Frau.
Das Charme-Storytelling
Im Storytelling reden wir oft über die Heldenreise, doch hier erleben wir etwas ganz anderes. Firat bechreibt sich nicht als Held sondern als Otto Normalverbraucher, der immer versucht das Beste aus seiner Situation zu machen. Er verzweifelt am Leben ohne den Humor zu verlieren. Er stolpert, fällt hin und steht wieder auf - mit einem Lächeln, obwohl er weiß dass er wieder stolpern wird. Na und? Das resoniert mit dem Leser. Das kennen wir. Nennen wir es das Charme-Storytelling.
Die Story dahinter - und ihr Lohn
Firat Demirhan entwickelt eine humorvolle Geschichte der Extraklasse. Er verkauft kein Auto. Er verkauft eine Idee. Die Idee des ehrlichen, strauchelnden, bemühten Mannes. Der seine schwangere Frau liebt, obwohl und weil sie ihm das Leben schwer macht. Und er wird belohnt. Mit über 200 Geboten, endend bei 55.750,- Euro. Und falls das ein nicht-auffindbarer Spaßbieter war: mittlerweile war Firat bei Stefan Raab, im Spiegel wurde er interviewt und die Medienanstalten streiten sich darum, wo er in Zukunft Kommentare schreiben darf.
Erfolgsmodell Charme-Story?
Die Charme-Stories tauchen immer öfter auf. Wer sie verwendet, versucht gar nicht die Vorteile seines Produkts in den Vordergrund zu rücken, sondern nur auf der Beziehungsebene mit Witz zu punkten. Da Menschen in erster Linie auf der Beziehungsebene reagieren und entscheiden, ist diese Strategie enorm erfolgversprechend.
Gerade wenn es darum geht, sich persönlich zu präsentieren, bieten diese Charme-Stories auch die Möglichkeit, menschlicher und greifbarer zu wirken als die Formen der Heldenreise. Denn mit dem Scheitern ist jeder vertraut. Mit dem Helden kaum einer.
Und was ist nun mit den 55.750? Ist das vielleicht nur ein Spaßgebot? Mag sein. Doch die Story hat so viel Aufsehen erregt, das Opel dem Urheber einen neuen Corsa geschenkt hat. Storytelling ist so mächtig - die Werbung ist unbezahlbar.