Reklamationen sind ein Geschenk. Ein zerbrechliches. Wer mit den richtigen Worten eine Reklamation beruhigt, der hat viel gewonnen.
Zeit, denn schlecht behandelte Reklamationen lösen meist Mehraufwand aus, z.B. durch längeren Schriftverkehr.
Ruf, denn die Mundpropaganda ist noch immer die beste Werbung.
Potenzial, denn gut behandelte Kunden kaufen eher wieder als schlecht behandelte.
Tatsächlich sind viele Reklamationen Kaufsignale, denn dem Kunden ist das Thema oder die Beziehung wichtig genug, um den Konflikt in Kauf zu nehmen. Auf den Punkt gebracht: Reklamationen sind Kaufsignale in Verkleidung.
Machen wir den Test an einem realen Praxisfall: Eine Bestellung bei einem deutschen T-Shirt-Händler.
Szenario: der Händler verrechnet Liefergebühren, obwohl auf der Website prangert "Ab 25 Euro - kostenlose Lieferung !!!"
Es folgt ein betont höfliches Reklamationsmail:
"...dabei wurden Versandkosten von 7.90 berechnet. Das verstehe ich nicht, denn bei Ihren Angeboten steht [...]
Bestellt wurden insgesamt 4 Shirts mit einem Bestellwert 60,10.[...]
Ich ersuche Sie daher um Rückerstattung der Versandkosten."
Angenommen, Sie erhalten dieses Reklamationsmail, welche Antwort würden Sie wählen? Die Verrechnung der Versandkosten war fragwürdig - sie stand im Kleingedruckten auf einer anderen Seite.
Ihre Antwort (I):
- "oh, das tut uns leid, wir schreiben den Betrag gut"
- "Wir bedauern das Missverständnis. Leider ist das Angebot nur für Deutschland... auf Grund der hohen Versandkosten nach Österreich müssen wir..."
- "Da liegt von unserer Seite kein Fehler vor. Hier der Link zu den AGB da steht... wir bedauern..."
- "Die 25 Euro Portofrei sind nur auf deutschlandweite Lieferungen. Steht in jedem Angebot."
Die erste Variante stellt den Kunden zufrieden - möglicherweise nicht aber Ihren Arbeitgeber: gut 15% Nachlass sind ja nicht so locker verdient. Es ist wichtig zu erkennen: für gute Reklamationsbehandlung muss nicht jedem Kundenwunsch nachgegeben werden, im Gegenteil.
Die dritte Variante hat dieses "wir sind nicht schuld" drin und der Verweis auf die AGB ist ein wenig freundlicher Akt. Mit derartigen Reizworten, die das Klima nur schwieriger machen, sollte man sparen.
Die vierte Variante mit "steht in jedem Angebot" sagt einem kritischen Kunden er könne nicht lesen. Und jetzt das Unglaubliche: das war die reale Variante - die natürlich prompt zu einer Eskalation führte.
Die zweite Variante macht Gebrauch von einem der wichtigsten Grundsätze des Reklamationsmanagements: Hart in der Sache, Sanft zum Kunden. Weder das Herschenken von Geschenken noch das Vertreiben von Kunden ist das Ziel professioneller Reklamationsbehandlung. Diese Variante wäre vermutlich die zielführendste gewesen.
Interessant hier auch die passive Form "wir müssen leider". Der Kunde sieht sich bereits als Opfer. Jetzt geht es darum sicher zu gehen, dass nicht wir als Anbieter die Täter sind sondern uns auf die Seite des Kunden stellen. Nicht unsere AGB sind es sondern die real höheren Versandkosten und gegen die sind wir machtlos. Was in der modernen Rhetorik sonst ungewünscht ist, das hilft hier, um eine gute Beziehung zum Kunden aufzubauen.
Wie erwähnt, im realen Fall wurde irrwitzigerweise die vierte Variante gewählt. Sie führte zu einer entsprechenden Reaktion:
"danke für Ihre klaren Worte und die Darstellung ihres Kundendienstes. Ich werde beides im Rahmen der Feedbacks entsprechend bewerten."
Knapp und kurz wie das erste Antwortmail des Lieferanten - wie geht es an der Stelle weiter?
Ihre Antwort (II):
- "Wir bedauern das Missverständnis. Uns ist eine klare und unverblümte Kommunikation wichtig. Es bringt nichts, schöne Worte um eine klare Tatsache zu machen. […]
Wir bedauern, dass dies ..." - "Das nehmen wir mit Bedauern zur Kenntnis. […]
Wir bemühen uns sehr, die Wünsche unserer Kunden zu berücksichtigen und unsere Qualitätsprodukte kostengünstig anzubieten. Dabei ist es aber nicht möglich, Kosten von Dritter Seite zu übernehmen." - "Wir beantworten selbst nach 19 Uhr noch Kundenemails und glauben, dass dies gutes Service ist. Um dieses Service möglich zu machen müssen wir uns hin und wieder kürzer halten und klarere Worte verwenden."
- "Es verwundert sehr, dass Sie direkt mit einem entsprechenden Feedback drohen. […]
Es besteht immer kein Kundendienst für Sie, wenn Sie einen Fehler machen oder ein Angebot nicht richtig lesen. […]
Anscheinend waren unsere Beschreibungen nicht ausreichend genug für Sie, dafür entschuldigen wir uns.[…]
Ihre Androhung haben wir selbstverständlich an unseren Anwalt weitergeleitet."
Variante 1 wäre für mich eine glaubwürdige Version, denn sie verteidigt die Kürze und Wortwahl des ersten Mails. Sie macht die Sache nicht wirklich besser, beruhigt aber ohne viel Aufwand zu verursachen.
Variante 2 hätte eigentlich bereits die erste Antwort sein können. Vielleicht war der Sachbearbeiter ja kurz am Klo und das Putzkommando hat das erste Mail verschickt.
Variante 3 hebt den außergewöhnlich späten Kundenservice hervor und spricht zumindest indirekt den Kundennutzen an. Auch noch eine akzeptable Variante.
Variante 4 löst natürlich nichts und vertreibt den Kunden. Man könnte witzeln, dass da die Putzkolonne den Servicedesk übernommen hat, wäre das nicht die reale Antwort gewesen.
Neben der unverblümten Beleidigung des Kunden "Beschreibungen nicht ausreichend genug für Sie..." kann eine Anwaltsdrohung ja nur ein Scherz sein. Damit wird klar: der Kunde ist ein Feind, die Schwerter sind gewetzt.
Dabei sind die Grundprinzipien erfolgreichen Reklamationsmanagements einfach:
- Emotionen beruhigen durch einfache Anerkennung.
- Eigene Position klar darlegen.
- Dabei aber eher nicht als Täter auftreten und so die Fronten verhärten.
- Lösung, so verfügbar, anbieten.
Ad Lösung anbieten: gutes Reklamationsmanagement hätte dem Kunden zum Beispiel einen 3, 5 oder 7,90 Euro Einkaufsgutschein im Shop angeboten. So hat der Kunde "gewonnen" aber um den Gutschein einzulösen muss er nochmals kaufen. Damit bringt der Reklamationskunde auf einmal Mehrumsatz. Der nächste Einkauf - denn jetzt ist ja keine böse Überraschung zu erwarten - läuft gut über die Bühne und man hat die Chance auf einen Stammkunden gesteigert.
In der Rhetorik immer gültig und bei Reklamationen ganz besonders: Mit den richtigen Worten kann man alles sagen, mit den falschen gar nichts.