Meine Lieblingsgeschäfte? Sportläden. Wo Emotion auf Technik trifft. Gestern war ich bei einem Sport-Supermarkt, die haben gerade Ausverkauf. Doch ich musste mich wundern. Auf allen reduzierten Fahrrädern stand der Preisnachlass angeschrieben "vom Stattpreis". Warum diese Zusatzinfo, warum nicht schlicht "-15%" oder "-20"? Diese Zusatzinfo "vom Stattpreis" machte mich stutzig. Wer mich kennt, weiß, da schlägt eine gewisse Paranoia zu, da vermute ich einen Trick.
"Vom Stattpreis"? Was ist das denn?
Was ist ein "Stattpreis"? War das der Originalpreis der Ware im Laden? Ich bilde mir einmal gelernt zu haben, dass wenn angeschrieben ist "statt 299,- jetzt nur 199,-" dann muss die Ware zumindest einen Tag für 299,- im Geschäft gestanden haben. Aber wenn da steht "-90% vom Traumpreis", kann dieser Traumpreis frei erfunden werden?
Skepsis tut gut.
Hand aufs Herz: vermutete nicht jeder schon einmal, dass diese Statt-Preise reine Erfindungen sind? Dass, wenn da steht "-50%" man sich schon die Frage stellen muss "-50%, wovon überhaupt?". Wir sind skeptisch und das ist nicht so unberechtigt.
Fakt ist aber: Kunden reagieren auf Rabatte. Wir lieben es, ein Schnäppchen zu machen. Wenn daher bei einer Ware ein solcher Rabatt angepriesen ist, steigert das die Kauflaune. Da kann der Statt-Preis noch so absurd sein.
Die Gretchenfrage im Interview
Und dann finde ich just heute, einen Tag nach meinem Supermarktbesuch, in der Tageszeitung "Kurier" ein Interview mit dem Geschäftsführer genau dieser Sport-Supermarktkette. Er wird befragt wohin sich der Sporthandel wohl entwickeln wird, wie sich der eBike-Boom niederschlägt und ob die Elektrohändler, die jetzt auch Sportwatches verkaufen, den Sporthändlern den Markt abgraben. Gute Fragen, wenig überraschendes. Doch dann, mitten im Interview eine Preisfrage:
"-50, 60, 70 Prozent. Schaut aus als würden Sie nichts zum offiziellen Normalpreis verkaufen..." und gefolgt von "Aber haben die Teile jemals den Stattpreis gekostet?"
Seine Antwort lässt jeden Zweifel fahren: "Dabei handelt es sich vom Hersteller empfohlenen Preis." Und weiter: "Wir sind mit den Preisen oft vom ersten Tag an günstiger als der empfohlene Verkaufspreis."
Stattpreise sind nicht völlig frei erfunden - aber real waren sie nie.
Damit ist klar: den Stattpreis hat es in diesem Laden ziemlich sicher nie gegeben, die Prozentangaben sind reine Dekoration. Sie locken Kunden, geben das Gefühl, billig zu kaufen und gestalten damit ein kunden"freundliches" Einkaufserlebnis. Immerhin geht der Kunde in dem Glauben, ein Schnäppchen gemacht zu haben. Aber tatsächlich ist der Nachlass weit weniger als die angegebenen Prozente. Stichproben aus dem aktuellen Flugblatt zeigen: nur zum Teil ist die rabattierte Ware billiger als in guten online-shops und bei weitem nicht um die angegebenen Rabatte aber in einzelnen Fällen sind die Preise trotz Rabatt höher als im online-Store.
Damit ist das Risiko natürlich enorm: vergleichen Kunden die Preise online, stellen sie rasch fest, dass ihnen hier etwas vorgegaukelt wird. Darunter zerbröselt nicht nur das Vertrauen in die Marke, man trainiert die Kunden auch darauf, online Preisvergleiche zu nützen. Das kann kräftig nach hinten losgehen.
Wie können sich Kunden dagegen wehren?
Im Kern zielt diese Strategie darauf ab, dem Kunden ein höherwertiges Bild von der Ware zu geben. Diese "Framing"-Methode hat lange Tradition und funktioniert offenbar hervorragend. Dagegen kann man sich als Kunde aber auch sehr leicht wehren. Mit einer simplen Frage: "Unbahängig vom Stattpreis - wäre ich zum aktuellen Preis an der Ware interessiert?" Denn etwas zu kaufen "weil es gerade billig ist", ist der beste Weg in die Schuldenfalle. Meine Beobachtung: je prekärer die wirtschaftliche Situation eines Menschen oder einer Familie, desto voller sind Schränke und Räume mit Ramsch, gekauft "weil es gerade billig war".
Doch diese Überlegung verlangt rationale Reflexion und der Schnäppchenjäger-Instinkt ist eben alles nur nicht rational. Und deswegen sind die "Statt-Preise" seit Jahrzehnten ein erfolgreiches Werkzeug der Preisstrategie.
Weiterführend:
Lesen Sie hier, wie Möbelhäuser unsere Preiswahrnehmung beeinflussen.
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